Bericht vom Zeitzeugengespräch
Am Dienstag, den 27. September, hatten wir, die Q1 der Leibnizschule und einige Diltheyschüler, die Ehre, bei einem Gespräch mit Zeitzeugen dabei sein zu dürfen, die die Gräuel des Zweiten Weltkrieges in Polen an eigener Haut miterlebt hatten.
Die evangelische Organisation für polnisch-deutsche Zusammenarbeit und Freundschaft “Zeichen der Hoffnung – Znaki Nadziei” und unsere Leibnizschule arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen, um solche Gespräche möglich zu machen, deren Bedeutung mit jedem Mal steigt. Sie sind für uns eine einmalige Gelegenheit dazu, direkt aus der Geschichte zu lernen.
Diesmal kamen unter der Leitung von Pfarrer Endter, dem stellv. Vorsitzenden von „Zeichen der Hoffnung“, drei Zeitzeugen zu Besuch, die sich sehr gefreut haben, mit uns, der neuen Generation, reden zu können.
Pan Bogdan, Ex-Kampfpilot, der nun Bücher schreibt und schon seit vielen Jahren bei solchen Gesprächen dabei ist, seine Jugendfreundin, Pani Basia, die trotz ihrer traumatischen Erlebnisse als junges Mädchen im KZ eine unglaublich positive Energie ausstrahlt und sich mit nun schon fast 90 Jahren zum ersten Mal traute, ihre Erinnerungen mit uns Schülern zu teilen, und Pan Jurek, der als kleiner Junge unter mysteriösen Umständen vor dem KZ verschont wurde und mit ein wenig mehr als 80 Jahren der jüngste der Herrschaften ist. Die drei erzählten Teile ihrer Geschichten und teilten Erfahrungsbruchstücke, die zusammen ein erschreckendes Bild der damaligen Zeit ergeben.
Man mag denken, dass wir mit unserem Vorwissen kaum noch geschockt werden können. Es ist jedoch etwas ganz anderes, aus erster Hand zu hören, wie unmittelbar neben der zehnjährigen Pani Basia ein vierjähriges Mädchen sterben musste oder wie hart der abrupte Verlust des Vaters Pan Jureks Familie traf. In diesem Moment haben wir das Gewicht der verlorenen und zerstörten Menschenleben gespürt, die wir im Geschichtsunterricht nur aus fremden, abstrakten Berichten kennen. In der Aula herrschte eine einzigartige Stille, wie es sie unter anderen Umständen nicht geben könnte.
Dann ging es in die Fragerunde. Die Zeitzeugen brachten jeder Frage, sogar einer nach der Humanität der SS-Offiziere, nichts als Offenheit und ihre eigene, nuancierte Wahrheit entgegen. Sie sprachen von der Vergangenheit und hatten für sich selbst Frieden gefunden, doch hat Auschwitz sie niemals verlassen.
Pan Bogdan erzählte von einer Führung, die er im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an die Opfer von Auschwitz vor Ort geleitet hat, und davon, wie sie, die Überlebenden, im Kopfe immer zum Teil in Auschwitz geblieben sind, es nie wirklich verlassen können werden. Dennoch sieht er es, genauso wie die beiden Anderen, als seine Pflicht an, darüber zu reden, zu schreiben, aufzuklären und alles dafür zu tun, dass eine Wiederholung solchen Grauens nicht möglich ist. Dafür waren sie hier bei uns an der Leibnizschule.
Nach der Fragerunde hatten wir die Gelegenheit uns in kleineren, intimen Gruppen, wie in einem Kaffeehaus, mit einem der drei zu unterhalten. Ich war bei Pani Basia, die sich gemeinsam mit Frau Gadek wundervoll mit uns unterhalten hat und auf alle Fragen eingegangen ist, die neu entstanden sind, oder welche man sich einfach nicht getraut hatte zu fragen. Zur damaligen sowie zur aktuellen Lage in Kultur und Politik haben wir uns in der Gruppe mit ihr ausgetauscht. Ihr Standpunkt zu Putin und dessen terroristischer Invasion der Ukraine zum Beispiel war deutlich ablehnend und mit Recht wütend. Doch sie erzählte auch viel von ihrer Jugend, innerhalb und außerhalb des Lagers, von der Tragik des Aufenthalts, aber auch von den schönen Kindheitserinnerungen, die ihr trotz allem genauso gut in Erinnerung geblieben sind. Alles in allem sei sie mehr als zufrieden mit ihrem Leben, meinte sie, zeigte uns liebevoll Bilder ihres verstorbenen Mannes und erzählte stolz von ihren Kindern und Enkeln. Schließlich wurde uns zum Ende des Gespräches die größtmögliche Ehre zuteil, denn auch wir wurden zu ihren Enkeln ernannt.
Dass wir uns gegenseitig so gut verstehen konnten, dass alle Geschichten so authentisch überbracht wurden, ist keine Selbstverständlichkeit. Frau Gadek, Mutter einer Schülerin an der Leibnizschule, ist seit Jahren ehrenamtlich bei dem Projekt dabei und übersetzt mit unglaublicher Empathie und Feinfühligkeit die Geschichten der Zeitzeugen, sodass man das Gefühl bekommt, sie aus erster Hand zu hören. Dafür sind wir ihr dankbar und hoffen, dass sie noch lange dabei bleibt.
Meine eigene Urgroßmutter war eine stolze, starke, unabhängige Frau, die sich alles was sie hatte, selbst erkämpfen musste. Sie erzählte viel, aber nie von ihrer Vergangenheit zu dieser Zeit. Alles, was wir heuten wissen, ist, dass sie als kleines jüdisches Mädchen aus der Schlange zum KZ fliehen konnte. Besonders Pani Basia hat sie für mich wiederauferstehen lassen und ich weiß, dass auch viele meiner Mitschüler innerhalb ihrer Familien verschiedene Erinnerungen an die NS-Zeit haben.
Wir, die Q1, sind unfassbar dankbar für die Möglichkeit des Gesprächs und besonders für die Offenheit, Güte und Liebe, die Pan Bogdan, Pani Basia und Pan Jurek uns entgegengebracht haben. Was sie uns erzählt haben, werden wir für immer behalten.
Dana Li